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"Zu tolerant gegenüber Machos mit Migrationshintergrund, zu spendabel mit dem Geld der Steuerzahler: Ein Landrat tritt aus der SPD aus und bringt deren Misere auf den Punkt
«Abgehoben und wirklichkeitsfremd»: Der Verwaltungschef der Insel Rügen liest der Kanzlerpartei die Leviten. Da sitzt jedes Wort.
Am Tag nachdem der Landrat von Vorpommern-Rügen, Stefan Kerth, in drastischen Worten mit der Regierungsarbeit der «Ampel» abgerechnet und seinen Austritt aus der SPD verkündet hat, ist deren Co-Vorsitzende guter Dinge. «Guten Morgen», begrüsst Saskia Esken am Dienstag bei Bluesky, dem sozialen Netzwerk für besonders fortschrittliche Menschen, ihre knapp 6500 Follower. Es folgen ein Sonnen-Emoji, die Erklärung, dass ihr Tee fertig sei, und die Ankündigung: «Heute rede ich über progressives Regieren.»
Würde man es gut meinen mit Esken, die seit 2019 die älteste deutsche Partei mitführen darf, könnte man ihre Art der politischen Kommunikation als hartnäckig bezeichnen. Nach dem Motto: Egal, was dieser Genosse aus der norddeutschen Provinz über die Arbeit von uns Profis in Berlin denkt – wir trinken Tee und machen weiter wie gehabt. Die Frage ist nur, wie lange noch.
Eskens Weg ist der falsche
Saskia Esken ist 62 Jahre alt. Sie wird ihren progressiven Weg fortsetzen. Allerdings könnte von ihrer Partei, wenn deren führende Leute weiter mitmarschieren, irgendwann nicht mehr viel übrig sein. Die jüngsten Wahlen waren ein Desaster, und die Umfragewerte versprechen keine Besserung. Die SPD wäre gut beraten, es anders zu machen als Esken.
Statt bei jeder Gelegenheit über die Segnungen der sozialdemokratisch geführten Regierungsarbeit zu dozieren und darauf zu hoffen, dass die Wähler diese irgendwann erkennen, sollten die führenden Genossen lieber denen zuhören, die davon nichts mehr wissen wollen. Davon gibt es immer mehr. Die Austrittserklärung des nun parteilosen Landrats von Vorpommern-Rügen erklärt in kompakter Form, warum die Kanzlerpartei am Boden liegt. Das Schreiben liegt der NZZ vor.
Landrat Kerth nennt drei Bereiche, in denen die SPD falschliege. Beim Thema Asyl und Migration vollziehe die Bundesregierung zwar eine Kursänderung. Mit einer ehrlichen Debatte über die Missstände rechne er in der SPD trotzdem nicht. Das liege auch an Führungsfiguren wie Esken, die «wenig kritische Reflexion» erkennen liessen. Er sei bestürzt über die «Toleranz gegenüber der in migrantischen Milieus verbreiteten Intoleranz», schreibt Kerth. Bei einem der Kernanliegen der Partei, der Gleichberechtigung von Frauen, schaue man bereitwillig weg.
Die SPD werde mittlerweile «von Strömungen und Personen geprägt, die gesinnungsethische Ziele über Realpolitik stellen», schreibt der Jurist Kerth. Als Demokrat habe er diesen Kurs zu respektieren, mittragen könne er ihn aber nicht länger. Die Politik seiner Partei wirke auf viele Menschen «abgehoben und wirklichkeitsfremd». Sie sei auch für den Aufstieg der AfD verantwortlich.
«Die schwindende Durchsetzungsfähigkeit des Rechtsstaates» ist Kerths zweiter Punkt. Er schreibt von Parallelgesellschaften mit eigenen Gewaltmonopolen und einer ablehnenden Haltung gegenüber der Polizei, die auch in der SPD salonfähig sei.
«Die Utopie eines anstrengungslosen Lebens»
Zum Schluss geht der Landrat noch auf das sogenannte Bürgergeld ein, das dieses Jahr Hartz IV als Grundsicherung für Arbeitslose abgelöst hat. Gut gemeint sei das Ganze, schreibt Kerth, sozial gerecht aber nicht. Viele Menschen zögen sich nun vom Arbeitsmarkt zurück, und die steigenden Soziallasten verteilten sich auf immer weniger Schultern. Seine Partei befördere «die Utopie eines anstrengungslosen Lebens».
Jeder Sozialdemokrat, der seine progressiven Blasen im Netz und in der analogen Welt hin und wieder verlässt, weiss, dass die Kritik des Rügener Landrats den Nerv einer immer grösser werdenden Mehrheit im Land und inzwischen vermutlich auch in der SPD trifft. Deutschlands neue Asylpolitik mag in die richtige Richtung gehen, aber sie reicht nicht aus, um die Krise der illegalen Masseneinwanderung zu lösen.
Der hiesige Rechtsstaat wirkt wirklich oft zahnlos; Polizisten, die zuschauen müssen, wie radikale Muslime ein Kalifat beschwören, sind nur eines von vielen tristen Beispielen. Und das «Bürgergeld», das den Anreiz, seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, deutlich gesenkt hat, ist vieles, aber sicher nicht sozial gerecht.
Die SPD könnte, wenn sie wollte, eine mehrheitsfähige Realpolitik betreiben. Das hat sie in ihrer langen und stolzen Geschichte mehrmals bewiesen. Aber sie hat sich schon vor längerer Zeit in progressiven Träumereien verrannt – zum eigenen Schaden und zum Schaden des Landes. Wenn diejenigen im Willy-Brandt-Haus, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, klug wären, würden sie den Rügener Landrat umgehend zu sich einladen und bitten zurückzukehren. Saskia Esken könnte währenddessen ja mit ihren Fans bei Bluesky Tee trinken."
Besser kann man den "Zustand" der SPD nicht auf den Punkt bringen !