Skagerath hat geschrieben: 31. Jan 2024, 09:36
https://www.spiegel.de/politik/deutschl ... c32647f467
"Bundeswehr steuert auf 56-Milliarden-Euro-Loch zu
Die Planer von Verteidigungsminister Pistorius schlagen Alarm: Das Bundeswehr-Sondervermögen ist bald aufgebraucht. Dem SPIEGEL liegen interne Berechnungen vor – die Truppe blickt in einen finanzpolitischen Abgrund."
Ist natürlich mal wieder hinter ner PayWall versteckt... :/
Vier Jahre noch, maximal, dann ist das Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht. Und dann?
Wie will die Truppe nach dem Auslaufen des 100-Milliarden-Euro-Kreditprogramms ihre überfällige Modernisierung vorantreiben? Wie soll sie auf Dauer das Zeitenwende-Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einlösen?
Dass es ohne einen zweiten plötzlichen Geldsegen schwer wird, die Nato-Zielvorgabe bis ins nächste Jahrzehnt hinein zu erfüllen und jährlich mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Verteidigung zu investieren, ist den Beamten und Militärs im Verteidigungsministerium seit Langem klar. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) selbst spricht in internen Runden von einer »Abbruchkante« zwischen den Jahren 2027 und 2028.
Jetzt aber haben seine Planer die Finanzlücke erstmals konkret ermittelt.
Wobei: Von einer »Kante« oder »Lücke« kann eigentlich nicht die Rede sein. Eher ist es ein finanzpolitischer Abgrund, in den die Truppe blickt.
Demnach drohen der Bundeswehr im Jahr 2028, wenn ihr Sondervermögen ausgegeben sein wird, rund 56 Milliarden Euro zu fehlen. Das geht aus einer internen Finanzbedarfsanalyse des Verteidigungsministeriums hervor, die dem SPIEGEL vorliegt.
Nach dem Haushaltsstreit ist vor dem Haushaltsstreit
Die Planer gehen davon aus, dass im Jahr 2028 zwei Prozent der Wirtschaftsleistung rund 97 Milliarden Euro entsprechen. Eben diese Summe werde die Bundeswehr in jedem Fall benötigen, etwa für Betriebsausgaben, Instandhaltung und Neuanschaffungen. Zudem veranschlagen die Planer weitere 10,8 Milliarden Euro für absehbare weitere Bedarfe der Truppe.
Das Problem: Der reguläre Wehretat wird der Annahme zufolge sein heutiges Niveau beibehalten und auch 2028 rund 51,9 Milliarden Euro betragen.
Während die Bundeswehr in diesem und in den drei Folgejahren zusätzlich dazu rund 20 Milliarden Euro pro Jahr aus dem Sondervermögen investieren kann, hat sie 2028 nicht mehr die Möglichkeit dazu – der Sondertopf wird dann ja leer sein. So ergibt sich aus der Differenz zwischen dem ermittelten Gesamtbedarf von 107,8 Milliarden Euro und dem regulären Etat in Höhe von 51,9 Milliarden Euro das Haushaltsloch in der Größe von rund 56 Milliarden Euro.
Zum Vergleich: Für dieses Jahr hat die Bundesregierung Verteidigungsausgaben in Höhe von 89 Milliarden Euro bei der Nato angemeldet und liegt damit bei 2,12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Nach langem Ringen wird der Bundestag am Freitag den Haushalt 2024 beschließen. Am heutigen Mittwoch soll Minister Pistorius in der abschließenden Debatte den Abgeordneten seine Prioritäten für dieses Jahr noch einmal darlegen.
Dem Minister dürfte jedoch klar sein: Nach dem Haushaltsstreit ist vor dem Haushaltsstreit. Womöglich erweist sich das Gezerre um den diesjährigen Etat im Rückblick als harmlos im Vergleich zu dem, was der Regierung angesichts knapper Kassen und festgezogener Schuldenbremse bei der Aufstellung künftiger Haushalte bevorsteht.
Wie der SPIEGEL berichtete, hat die Ampelregierung bisher keinen Plan, wie sie das ab 2028 nötige Geld für die Truppe auftreiben soll. Verteidigungsminister Pistorius, in dessen Haus die Finanzprobleme derzeit für viel Unruhe sorgen, mahnte eine schnelle Klärung an.
»Wir haben die Zusage des Kanzlers, dass wir bis in die 2030er-Jahre hinein mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Also ausdrücklich auch dann, wenn das Sondervermögen ab 2027 aufgebraucht sein wird«, sagte er dem SPIEGEL. Pistorius zufolge müssten sich die Berechnungen in der mittelfristigen Finanzplanung für das Jahr 2028 niederschlagen, die Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in wenigen Monaten vorlegen muss.
Lindners Garantie
Lindner sicherte nun zu, dass »auch im Jahr 2028 fortfolgende die Ziffer zwei Prozent Wirtschaftsleistung für die Verteidigung stehen« werde. Danach gefragt, ob dies eine »Garantie« sei, antwortete Lindner im ZDF-Politmagazin »Berlin direkt«: »So ist es.«
Nach SPIEGEL-Recherchen regte Lindner kürzlich in einer vertraulichen Sitzung des Verteidigungsausschusses an, zugunsten der Bundeswehr im Sozialetat zu sparen. In der SPD kam das gar nicht gut an.
Ein Ausgabenposten bereitet Pistorius’ Beamten und Militärs besonders große Sorge: die Kosten für den laufenden Betrieb. In einem internen, dem SPIEGEL vorliegenden Papier des Kommandos Heer heißt es: »Bei weiterhin stagnierendem Einzelplan 14 ab 2028« – dem regulären Wehretat also – »wird das gesamte Finanzvolumen im Einzelplan 14 durch den Betrieb aufgezehrt.«
Ausgaben für Neuanschaffungen und Forschungstätigkeiten wären dann gar nicht mehr möglich. Überdies muss auch die deutsche Kampfbrigade finanziert werden, die Pistorius dauerhaft in Litauen stationieren will. 2027 soll sie voll einsatzfähig sein; auch ihre Aufstellung und Ausrüstung soll nach SPIEGEL-Informationen aus dem regulären Wehretat bezahlt werden. Expertenschätzungen belaufen sich auf fünf bis acht Milliarden Euro.
Und als wären dies nicht schon genug Kostenpunkte, ist da noch ein weiteres, gravierendes Problem: künftige Rechnungen für Großanschaffungen. Mit dem Sondervermögen leistet die Bundesregierung jetzt Anzahlungen, etwa für Kampfjets und Fregatten. Deren Bau und Auslieferung ziehen sich über Jahre – ebenso wie die Bezahlung. Was, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist – aber die Kosten noch nicht beglichen sind? Dieses Szenario trifft auf zahlreiche Projekte zu. Es bereitet den Haushältern im Ministerium Kopfzerbrechen. Und wie nun bekannt wird, rechnen sie mit dem Schlimmsten.
So geht aus einer vertraulichen Unterlage der Abteilungen für Planung und Ausrüstung hervor, dass die Finanzierung des neuen sogenannten leichten Kampfhubschraubers alles andere als gewiss ist. »Es besteht das Risiko«, heißt es in dem Papier vom September 2023, dass jene Anteile des Projekts, die nicht im Sondervermögen Bundeswehr, sondern im regulären Wehretat veranschlagt werden, »bis auf Weiteres nicht mit Haushaltsmitteln hinterlegt werden können, weil das ausplanbare Haushaltsvolumen des Einzelplans 14« – also des Wehretats – »in den kommenden Jahren abnimmt.«
Konkret hätte dies zur Folge, dass bei den Maschinen an der Munition und den Rüstsätzen gespart werden müsste, so das Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt. Kämpfen könnten die Kampfhubschrauber dann nicht.
Risiko Zahlungsausfall
Die Planer schätzen das Ausfallrisiko nicht gerade gering ein: »Die Eintrittswahrscheinlichkeit wird derzeit mit 50 Prozent abgeschätzt«, schreiben sie. Ihr Rat: den regulären Wehretat »bedarfsgerecht hoch zu priorisieren«.
Das Beispiel zeigt: Die Finanzierung neuer Großprojekte wackelt – und damit auch das Versprechen von der Zeitenwende.
Ingo Gädechens, Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für den Verteidigungshaushalt, fordert von der Ampel »eine entschiedene Kurskorrektur«: »Wie mit der Union vereinbart, muss der Verteidigungskernhaushalt so schnell wie möglich signifikant aufwachsen«, sagt Gädechens und bezieht sich dabei auf den Juni 2022, als die Unionsfraktion mit der Ampel das Sondervermögen durchs Parlament brachte.
Gädechens warnt: »2028 wird niemand – egal wer regiert – von heute auf morgen 56 Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt umschichten können.« Die Ampel sei ja schon an einem Loch von 17 Milliarden Euro fast gescheitert, spottet der CDU-Mann.
Gädechens sieht den Verteidigungsminister in der Pflicht: »Wann, wenn nicht jetzt, sollte Boris Pistorius öffentlich lautstark protestieren und kundtun, dass es so nicht weitergehen kann?« Dem Kanzler wirft er »Tricks und Kniffe« vor.
Und auch die Planer aus dem Wehrressort scheinen nicht überzeugt zu sein von der Art und Weise, mit der die Bundesregierung in diesem Jahr das Zweiprozentziel der Nato erfüllen will. Allein mit den Mitteln aus regulärem Wehretat und Sondervermögen käme sie nicht auf über zwei Prozent. Also verbucht sie auch Zinszahlungen auf Kredite für Rüstungsgüter, Kindergeldzahlungen an Bundeswehrangehörige und den Etat des Auslandsgeheimdienstes BND als verteidigungsrelevant.
Doch die Finanzbedarfsanalyse des Verteidigungsministeriums verortet solche Ausgaben für das Jahr 2028 klar außerhalb der von der Bundeswehr für sich beanspruchten zwei Prozent des BIP.
Ein Fingerzeig, dass die Regierung mit derlei Buchungstricks zwar das Zweiprozentziel der Nato erreichen kann, aber der Bundeswehr und ihrer Wehrfähigkeit damit keinen Dienst erweist.